Schläge für Lenin

 

Im Comic „Likwidator in der Ukraine“ kämpft ein zeitreisender Ökoterrorist gegen die Geschichte.

 

Die vom Altpunk Ryszard Dabrowski geschaffene Comic-Figur Likwidator ist in Polen eine Untergrund-Größe. Zahlreiche Abenteuer hat der Antiheld bereits bestritten. Im Album „Kaczystan“ (2015) macht er, der aus Polen stammt, aber kein Pole sein will, sich über Kirche und Staatsnationalismus lustig und geht dabei nicht gerade zimperlich mit Vertretern von Klerus und Macht um. Der Band „Elro 2012“ ist dagegen eine bissige Satire auf die Fußball-Europameisterschaft. Hier hagelt es nicht nur Torschüsse, sondern auch Gewehrsalven und Leichen.

 

Mit der magischen Eiche zur Machnowschtschina

 

Likwidator sieht dabei immer gleich aus: ein schwarz vermummter ‘Bodybuilder mit groteskem Dauergrinsen. Er ist zwar ein Zyniker, hat aber gewisse Prinzipien, die er gerne ausführlich darlegt: „Ich verfolge eine ökologische Weltsicht. Als höchster Wert steht die wilde Natur und deren Freiheit, und das verteidige ich.“ Ein vielleicht etwas schlichtes Weltbild, an dem man Autor Dabrowskis Bekenntnis zu „Earth First!“ (einer auch unter Ökos umstrittenen Umweltbewegung) und Max Stirner (einem auch unter Libertären umstrittenen Anarchisten) erkennt.

 

Im hier besprochenen Album landet unser Held dank einer magischen Eiche aus dem Białowieża-Urwald in der Ukraine von 1920, also mitten im Bürgerkrieg. Er schlägt sich auf die Seite von Nestor Machno und seiner Machnowschtschina, jener legendären anarchistischen Bauernarmee, die unter der Totenkopfflagge gemeinsam mit der bolschewistischen Armee große Gebiete der Ukraine vom zaristischen Joch befreite – um dann auch von den Staats- und Zwangskommunisten als Feind bekämpft zu werden.

 

Likwidator erkennt in Machnos Armee seine Kampfgefährten, weil auch sie (unbewusst) aufseiten von „Mutter Natur“ in den Krieg ziehen. Nach erfolgreichem Gemetzel an kommunistischen Soldaten und „Bauernwürgern“ meldet er sich freiwillig, um mit Lenin persönlich zu verhandeln. Der Spitzbart plant einen Hinterhalt, wird aber kurzerhand von Likwidator entführt und kassiert ordentlich Ohrfeigen. Kurz darauf gewinnen zaristische Truppen die Oberhand, nun ist Likwidator der Gefangene. Doch die Machnowschtschina naht…

 

Nichts für Lehrer-Lämpel-Leser

 

Der Comic ist gekonnt gezeichnet, gleichzeitig hingerotzt und detailversessen. Historische Anspielungen erkennt man sofort. Im Text macht sich gelegentlich der österreichische Zungenschlag der Übersetzerin bemerkbar („Ich mag nimmer!“). Im Grunde besteht der Band nur aus überdrehten Slapstick-Gewaltorgien, die irgendwo zwischen Clever & Smart auf Testosteron und Tarantino auf Speed anzusiedeln sind. Likwidators Laune ist immer dann am besten, wenn er gnadenlos bolschewistische und zaristische Soldaten abschlachten kann. Geht es dabei geschmacklso und ekellerregend zu? Allerdings. Bleiben Moral und Erkenntnisgewinn auf der Strecke? Ganz sicher. Ist das Ganze trotzdem ein Riesenspaß? Ja und nochmals Ja. In der realen Historie bekommen meistens die Falschen die Schläge ab, da tut es gut, wenn es – im Comic – auch mal die Richtigen trifft.

 

Zart Besaitete können beruhigt sein: Likwidators Sieg ist nicht von Dauer. Er kehrt in die Jetzt-Zeit zurück, der Zug der Geschichte überrollt seine Taten und ist wieder rauf dem gewohnten Gleis. Likwidator grinst trotzdem. Der Rezensent auch.

 

Johann Thun