Ana Penyas’ Comic erzählt eine Geschichte der Entfremdung

Nur ein Sonnenschirmsteckt im Sand. An dem langen Strand an Spaniens Ostküste sitzt ein einziger Tourist. Wenige Meter weiter ziehen Fischer ihr Boot an Land, während ein Kind im Meer plantscht. In den 1960ern, als Ana Penyas’ Comic „Sonnenseiten“ beginnt, reichen die Felder der Bauern noch bis an den Strand. Der ist geblieben, die Idylle dahin. Auf den späten Seiten von Penyas’ beeindruckendem Band haben Hotels, ihre Pools und Parks, alles Land unter sich begraben. Die Einheimischen, die hier gewohnt haben, sind demTourismus gewichen.

Penyas’ Comic „Sonnenseiten“ erzählt von 1969 bis 2019 in sieben Zeitschriften und über drei Generationen hinweg die Geschichte einer ansässigen Familie – der von Alfonso, seiner Frau, seinen Eltern und seinen Kindern. 1969 verspricht der aufblühende Tourismus noch Glück und Wohlstand. Alfonso kann endlich heiraten, nachdem er Arbeit im Hotel Palace gefunden hat, eines von wenigen Gebäuden am Strand. Der hat sich 1987 beträchtlich gefüllt, als Alfonso und Anhang dorthin Ausflüge machen. Unwohl im Rummel fühlt sich nur seine Mutter.

Schatten ziehen schon vorher über Penyas’ Sonnenseiten. Gleich zu Anfang präsentiert sie Auszüge aus einem Reiseführer von 1964: Danach war der spanische Bürgerkrieg ein „Krieg für den Frieden“, das diktatorische Franco-Regime macht „bessere Politik“. Woanders zitiert die Künstlerin, die Industriedesign und Bildende Kunst in ihrer Geburtsstadt Valencia studiert hat,Dokumentarfilme, TV-Shows und Werbeplakate. Passend wechselhaft und scheinbar gebrochen ist ihre Grafik: Mit Buntstift gemalte Landschaften gesellen sich zu getuschten Figuren, Aquarellzeichnungen und Fotocollagen.

Überall klingen komplexe Entwicklungen an wie Massentourismus, Bauwahn, Gentrifizierung und Wertewandel. Der Sand ist tief in Penyas’ zweitem Comic. Ihr erster, der nicht auf Deutsch erschienen ist, hat die jüngste Geschichte Spaniens aus der Sicht ihrer Großmütter geschildert und 2018 den Nationalen Comicpreis erhalten. Auch in „Sonnenseiten“ stehen Menschen im Mittelpunkt – fein beobachtete Familienszenen. So vermeidet Penyas, den Band kritisch und politisch zu überfrachten. Ihr Kernthema ist die Entfremdung der Menschen.

Irgendwie profitieren Alfonsos Kinder von der Tourismusindustrie, zeitweise und ohne Erfüllung. Der Sohn schlägt sich im Hotelbau durch, eine Tochter mit Jobs auf Tourismusmessen. Die andere Tochter arbeitet als Praktikantin für ein ausländisches Architekturbüro, das ausgerechnet das historische Stadtviertel „entwickelt“, in dem die Familie seit Jahrzehnten lebt. 2019 müssen Alfonso und Frau ausziehen. Ihr Viertel ist es nicht mehr. Souvenirshops, Hostels und Bars haben sich breitgemacht. „Sonnenseiten“, schreibt Penyas, sei denen gewidmet, „die ihre Heimat verlassen mussten, und denen, die auf demeigenen Stück Land zu Fremden wurden“.