Krieg ist das Gegenteil von Zivilisation

«Krieg ist das Gegenteil von Zivilisation», lautet einer der zentralen Sätze in Marlene Streeruwitz’ Handbuch gegen den Krieg, einem philosophisch-literarischen Essay, in dem die Autorin gegen die verdrehte Logik des Kriegs anschreibt. Der Band ist im Frühjahr 2022 in der neuen, von Wolfgang Paterno herausgegebenen Reihe «Bibliothek des Alltags» bei Bahoe Books erschienen und hat seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine nichts an Aktualität eingebüßt.

Sie habe diesen Text aus Wut und in sehr kurzer Zeit geschrieben, so die Autorin anläßlich einer Lesung zum «Langen Tag der Flucht», und trotzdem ist er weit mehr als ein tagespolitisches Manifest oder ein Handbuch, das Wissen systematisch auflistet. Streeruwitz analysiert in dreiunddreißig kurzen, prägnanten Kapiteln unser von Krieg und Kapitalismus geprägtes Denken und stellt diesem den Frieden als mögliches Modell für unsere Lebensführung gegenüber.

Krieg ist … das Gegenteil von Zivilisation. das Gegenteil von Ethos. das Gegenteil des Demokratischen. eine Institution. ein Produktionsmittel. Missbrauch. Erpressung. Ausbeutung. Bühne. Handel mit Leben und Tod. Umkehrung der Schöpfungsgeschichte. Krieg behauptet immer die Eroberung irgendeines Paradieses. Krieg ist unsere kulturelle Gründungsgeschichte. Krieg ist die Behauptung des Erhabenen. Krieg ersetzt Vernunft durch Gefühle.

Kapitelüberschriften wie Merksätze, plakativ und nachvollziehbar. Auch jeder Text ist ein kleines Manifest, und doch ergibt die Weise, wie Streeruwitz in einem temporeichen Stakkato anscheinend banale Wahrheiten miteinander in Beziehung setzt, eine äußerst erhellende Momentaufnahme unserer Gesellschaft und ihrer zynischen Logik:

Es gab keine Sekunde ohne Krieg auf der Welt. Und. Auskunft über das wahre Ausmaß des Kriegerischen gäben ohnehin nur die Buchhaltungen der Waffenverkäufer. Die aber bleiben ein Steuergeheimnis. Denn. Der Albtraum Krieg ist geldrelevante Wirklichkeit. (…) Wir. Wir als Personen. Ob wir Krieg befürworten. Ob wir um Frieden kämpfen. Wir sind schon in diese alles betreffende Buchhaltung eingerechnet. Wir sind darin verzichtbar gemacht. Krieg löscht ganz selbstverständlich unsere Lebensberechtigung. Wir werden dem Zufall der Kriegslogik überantwortet. Wir alle. Und deshalb fürchten wir uns. Und weil wir uns fürchten. Angst macht einfältig. Angst macht unlogisch. Macht unvernünftig. Verwirrt. Angst sucht Schutz. Biedert sich an. Angst stimmt der Gewalt zu, um der Gewalt zu entkommen.
(S. 6)

«Frieden ist ein anderes Wort für Gerechtigkeit», lesen wir ganz am Schluss des Handbuchs, dessen Lektüre hier ausdrücklich empfohlen sei, um im Chaos kriegerischer und anderer Ereignisse den Blick auf die Welt scharfzustellen.

 

Sabine Schuster, 11. 10. 22

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