Die Graphic Novel „Sonnenseiten“ blickt auf den Massentourismus in Spanien.

Darf man Urlaub machen in einem Land, das von einem menschenverachtenden Diktator regiert wird? Diese Frage stellte sich kaum jemand im gebeutelten Europa der Nachkriegszeit, als der Tourismusboom, vom Generalissimus Francisco Franco (1892- 1975) in Spanien gefördert, so richtig losging. Viel Sonne, günstige Preise – mehr interessierte die wenigsten Menschen.

An diesem Punkt setzt die Graphic Novel „Sonnenseiten“ der spanischen Künstlerin Ana Penyas an. Sie zeigt die Entwicklung der Küste Valencias vom dörflichen Idyll zur Verelendung. Freilich ist Penyas, 1987 in Valencia geboren, zu jung, um dies von Anfang an miterlebt zu haben. So stützt sie sich etwa auf eine Broschüre, die in den Sechzigerjahren vom Franco- Regime herausgegeben wurde, um Touristen buhlte und ein befriedetes, versöhntes Spanien vorgaukelte. Immer wieder zitiert die Künstlerin, die 2018 als erste Frau mit dem Nationalen Comic-Preis ausgezeichnet wurde, zeitgenössische Zeitungsartikel, Radiomeldungen oder Fernsehbeiträge in ihrer Geschichte um die Familie Alfonsos. Die Dialoge der Protagonisten sind eher einsilbig: Man muss zwischen den Zeilen lesen können; manche Zusammenhänge sind für Nicht-Spanier schwer zu verstehen. Richtig ans Herz wachsen dem Leser die Figuren nicht.

Viel aussagekräftiger sind da die „stummen“ Bilder, die bedrückend atmosphärisch wirken. Dazu benutzt Penyas etwa Buntstifte, mit denen sie mit robustem Strich teilweise Fotos überzeichnet – oder sie kreiert Collagen, wobei der Übergang zwischen den verschiedenen Medien verschwimmt. Damit wirkt ihr Comic fast wie ein Dokumentarfilm.

Eine Problematik bleibt allerdings: Wer „Sonnenseiten“ flüchtig betrachtet und sich mit der Geschichte Spaniens nicht auskennt, könnte meinen, dass unter Franco alles idyllisch war, während jetzt der Massentourismus das Land erstickt und die alten Wohnviertel zu Elendsquartieren gemacht hat, mit Drogenhandel und Prostitution. Penyas zeigt jedoch vielmehr, dass bereits die wirtschaftliche Konzentration der Diktatur auf den Tourismus ein Fehler war. Die junge Demokratie nach dem Tod Francos 1975 korrigierte den Kurs nicht, und der neoliberale Kapitalismus tobte sich aus. Heißt das nun aber, dass man keinen Urlaub machen darf in einem Land, das dazu verdonnert wurde, vom Tourismus zu leben?