Als Heinrich Heine im Vormärz des Jahres 1844 an Deutschland dachte, war er um den Schlaf gebracht. Aus dem Alp, den nationalistisch aufgeladene Traumgebilde evozieren, ist der jugoslawische Comiczeichner Aleksandar Zograf nie erwacht. In seinem während des Balkankrieges entstandenen Comicalbum Regards from Serbia. A Cartoonist’s Diary of War in Serbia (2007) legte er in tagebuchartigen Skizzen Zeugnis ab vom alltäglichen Bombardement. Jugoslawien ist zerfallen, der zerstückelte Körper des zerstörten Staates kehrt über 288 Seiten hinweg phantomartig wieder. Für Zograf, der sein Comic-Alter Ego konsequent zwischen den Fronten positioniert, gibt es nichts Sinnloseres als eine Uniform und nichts Dümmeres als Milosević´ völkische Mobilisierungversuche. 1963 im serbischen Teil der Vojvodina als Saša Rakezić geboren, machte er sein Journalisten-Pseudonym zum Künstlernamen; sein Tagebuch ist von hypnagogen Bildwelten durchzogen, die das Bewusstsein an der Schwelle zum Schlaf mit multisensorischen Eindrücken fluten.

Zografs Imaginationen entstehen in Zwischenwelten, ihr Nachleben bannt der Autor. stilistisch zwischen Agitprop, Picasso und Kinderzeichnung changierend, gekonnt auf Papier. Er mischt Tagesrest mit Traumsequenz, flicht in seine surrealen Bilderreihen immer wieder Fotografien ein, die ihm bei seinen Recherchen unterkommen. Im Copyshop des Comickünstlers ist für die experimentellen Sprachen der jugoslawischen DIY-Kultur ebenso viel Platz wie für die des Novi Primitivizam: beide Bildtraditionen kommen nicht von ungefähr: In den 1930er-Jahren war Veljko Kockars Kaktus Bata («Kaktus-Kid») ebenso Teil einer stilistisch vielfältigen Avantgarde wie Marko Ristić´ poetische Collagen à la John Heartfield: Trotz regem Austausch mit André Breton und Louis Aragon ist der Kreis der Belgrader Surrealist_innen kaum mehr bekannt, dem auch der spätere Partisan Ristić angehörte; Veljko Kockar wurde aufgrund vermeintlicher Kollaboration mit dem NS-Regime 1944 hingerichtet, seine für die jugoslawische Variante von Walt Disneys Lustiges Taschenbuch gezeichneten Funnies sind bis heute populär.

Jene historische Zeitspanne, in der Kockar wirkte, ist es, die in Aleksandar Zografs jüngster Graphic Novel interessiert. Partisanenpost wurde von Ivan Petrovic aus dem Serbischen ins Deutsche übersetzt und ist vor zwei Jahren im Wiener Independent Verlag bahoe books erschienen. In ihr ist das Königreich Jugoslawien von deutschen und italienischen Faschistinnen besetzt, unter den von 1941 bis 1944 anhaltenden Repressionen hatten neben Jüdinnen und Kommunistinnen Menschen mit Behinderung und solche ohne Arbeit besonders zu leiden. Zograf flickt ihre Lebensläufe nachträglich neu zusammen und hebt dabei Momente des Aufbegehrens hervor. Einzelne Elemente aus dem Erzählfluss verdichten sich so zu einer Ästhetik des Widerstands, als diskontinuierliche Ansammlung eingefrorener Augenblicke wirken sie im Kopf der Leserinnen fort.

Eine der achtundzwanzig Episoden handelt von Hilda Dajć, die sich, knapp neunzehnjährig, für den Dienst auf der Krankenstation im Konzentrationslager Sajmiste meldet und allabendlich Trost spendet, indem sie den dort Internierten vorliest. Dajć´ Briefe haben die vor Ort eingesetzten mobilen Gaskammern der Nationalsozialistinnen überlebt, die im Serbischen auch als «Seelenvernichter» («Dusegupka») bezeichnet wurden. Ein anderes Kapitel beruht auf Aufzeichnungen, die ein jugoslawischer Bartleby in seinem Notizbuch hinterlassen hat. Der junge Drucker, der aus Geldmangel in Hauseingängen schläft und anschließend in den Krieg ziehen muss, schildert darin seine Erfahrungen auf der Flucht. Neben Tagebüchern und Briefen speisen Zografs Bilderzählungen sich aus Zeitungsartikeln und Presseberichten. Ein Faksimile des Spiegel-Covers vom 10. März 1997 fungiert im Comic als Evidenzbeweis für das am 22. April 1941 von Wehrmachtssoldaten verübte Massaker im serbischen Pancevo, Zograf findet Fotos davon auf einer «kosmischen Deponie» (S. 43) namens Flohmarkt – ein inoffizielles Archiv des antifaschistischen Widerstands, in dem es viel zu entdecken gibt. Des Autors Blick darauf kommt nicht immer ohne Überzeichnungen aus: In einer Ausgabe der oppositionellen Zeitschrift Put Slobode («Der Weg der Freiheit») küssen Zograf zufolge die im Wald versteckten Partisan_innen die vom Feind entwendeten Kanonen und umarmen sie wie ihre eigenen Kinder.

Zeichnen im KZ ist ein Verlachen unter Todesdrohung, in den Kupferminen von Bor nahmen die Nazis dem ungarischen Karikaturisten Albert Csillag dafür das Leben. Mit Partisanenpost entreißt Zograf auch dessen Comics dem Vergessen: Als Zeichner vorerst von der schlimmsten Fron verschont, wurde eine Offizierskarikatur Csillag später zum Verhängnis; seinen klandestin im Kuvert zirkulierenden Kassiber reicht Zograf am Cover von Partisanenpost an die nächste Generation weiter. Spuren der nationalsozialistischen Ikonografie entdeckt er indes auf Kaffeetassen, in Schulheften, Erziehungsratgebern, Panzerfahreranleitungen und der serbischen Ausgabe von Helga Knöpke-Joests NS-Propagandatext Ulla, ein Hitlermädel. Zografs comicartiges Rearrangement des Vorgefundenen unterwandert die nationalsozialistische Herrschaft in Jugoslawien immer wieder mit satirischen Mitteln und zeigt sie zugleich als Alptraumcollage – mitsamt den wiederkehrenden Bildern des Widerstands.

 

Barbara Eder