Ukraine Zwischen Trauer, Wut und Analyse: Die Schrifstellerinnen Katja Petrowskaja und Marlene Streeruwitz erzählen von ihrer Perspektive auf den Krieg. Sie wollen ihn intellektuell (be)greifen.

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Wer Marlene Streeruwitz’ Handbuch gegen den Krieg liest, versteht, warum das so ist. „Krieg ersetzt Vernunft durch Gefühle“, heißt es dort. Die in Wien, London und New York lebende Autorin seziert das Konzept Krieg mit der Rasierklinge und deckt dessen gesellschaftliche Folgen schonungslos auf. Mit Sätzen wie „Krieg ist das Gegenteil von Ethos“ und „Krieg ist künstliche Psychose“ macht sie all jenen einen dicken Strich durch die Rechnung, die meinen, dass es einen ethisch korrekten und vernünftigen Kurs durch diese Zeit gibt.

Vage Definition von Freiheit

In etwas mehr als dreißig Thesen wird hier nüchtern das Wesen des Krieges vermessen. Das Buch ist ein Antidot gegen die Eskalationsspiralen. Streeruwitz beschreibt den Krieg als das Gegenteil von Zivilisation und Leben, als Missbrauch, als Ausbeutung und letztes Abenteuer. Krieg sei aber auch „die Grammatik der Mächtigen“ und „das stabilste Modell, wie Geschichte gemacht wurde“. Sie entlarvt die „sorgfältig konstruierte Maschine der Gewalt“ in ihren wirtschaftlichen Dimensionen und zeigt, wie der Krieg als Comedy auf die mediale Bühne gebracht wird. „Und alle treten auf und wissen alles. Vermutungen, taktische Vorschläge, Wahrsagerei, Wunschvorstellungen. Während Krieg ist, haben alle Vordränglerischen eine gute Zeit.“

Ihr Handbuch sei „ganz anlassbezogen, raschest geschrieben, in einer Art Raserei“ entstanden, gestand Streeruwitz dem Standard. Rasch lesen sollte man es aber nicht. Besser liest man diese fast befremdlich kühlen Texte Wort für Wort und Satz für Satz. Denn es sind die Nuancen und Zwischentöne sowie die genau konstruierten Satzketten, die diese Anordnung der kriegerischen Wirklichkeit zur vielleicht besten Lektüre in dieser Zeit machen.

Wo Petrowskaja die Grammatik des Krieges in der bildlich festgehaltenen Wirklichkeit sucht, geht Streeruwitz in die rationale Analyse der vom Krieg ausgelösten Prozesse. Sie zeigt, wie sich Krieg immer in Überwältigungen erzählt und die Gewalt zur alleingültigen Realität macht. „Jede andere Erzählform ist ausgesetzt“, es herrsche eine „Zensur gegenüber dem Sprechen von Leid“. Damit müsse gebrochen werden, fordert die Österreicherin, es brauche eine Kultur, „die sich vor dem Frieden nicht scheut“. Die freiheitliche Demokratie des Westens sei als Bezugsgröße untauglich, da sie in ihrer patriarchalen, neoliberalen und ausbeuterischen Form den Krieg als Normalzustand etabliere. Ein echter gesellschaftlicher Frieden meine Gerechtigkeit für alle und werde „mehr als eine vage Definition von Freiheit brauchen“.