Es gibt in diesem Comic kein Schwarz, nur Stufen von Grau, kaum merklich grundiert von blassem Beige und einem gelegentlichen Braunton. Als wäre es zu einfach, das Geschehen von Auschwitz in monochromem Schwarz zu malen. Dietmar Reinhards »grafische Dokumentation« der Ereignisse in Auschwitz zwischen Frühjahr 1940 und Jänner 1945, vom Aufbau der »größten Vernichtungsfabrik der Nazis« bis zur Befreiung des Lagers durch die Rote Armee versteht sich als akribische Aufzeichnung des »Geflecht[s] der Taten« (Hannah Arendt). Der heute 70-Jährige ist bekannt für seine Arbeiten als freier Illustrator für Stern, Die Zeit, Süddeutsche Zeitung oder den Rowohlt Verlag. Seine konzeptionellen Porträts, vorzugsweise von Persönlichkeiten in Machtpositionen, von Kanzlerinnen bis hin zu Diktatoren wie Kim Jong-un oder Stalin, sind subtile Satiren.

 

Mit Leben und Sterben in Auschwitz legt Reinhard nach fünfjähriger Arbeit nun erstmals einen Comic vor. Wie der Autor dabei der Aporie der Darstellbarkeit begegnet, deutet er in einem Zitat, wiederum von Hannah Arendt, an: »Sofern es überhaupt ein ›Bewältigen‹ der Vergangenheit gibt, besteht es im Nacherzählen dessen, was sich ereignet hat.« Dabei geht Reinhard an die Grenzen, denn weder blendet er die brutale Gewalt der SS-Leute aus noch die Körper der Ermordeten. Basierend auf intensiven Quellenstudien, insbesondere auf Danuta Czechs Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945, der detailliertesten Tageschronik von Auschwitz, zeichnet Reinhard auf einhundert Seiten die Geschichte von Auschwitz.

 

Ein Zeitsprung zu Beginn: 1947 wird der ehemalige Lagerkommandant Rudolf Höß, zum Tode verurteilt, in Auschwitz hingerichtet. In seinen Memoiren, die Höß zuvor in der Gefängniszeit niederschrieb, schildert er ausführlich seine »Arbeit«, die im April 1940 mit dem Auskundschaften des Geländes am Stadtrand von Oświęcim einsetzt. Mit protokollarischer Genauigkeit folgt der Zeichner der Chronologie: dem Aufbau des Lagers, dem Kapo-System, der Ankunft des ersten Transports, den Schlägen und Schüssen, den 20-stündigen Stehappellen, der Inbetriebnahme der Öfen von Topf & Söhne, den Selektionen, dem ersten Fluchtversuch, den Foltermethoden, den Besuchen Heinrich Himmlers, der Zäsur, die durch die Neuausrichtung des Lagers als gezieltes Vernichtungslagers aller Juden und Jüdinnen erfolgt,den massenhaften Vergasungen mit Zyklon B und den qualvollen Experimenten an Frauen und Zwillingen. Auschwitz entwickelte sich zu einer kühlen Mordbürokratie, in der es vorrangig um »Planungssicherheit« ging.

 

Reinhard erzählt nach, er inszeniert das Geflecht der Handlungen, in historisch belegten Dialogen, doch unter Verzicht auf eine künstliche Dramaturgie. In klaren grafischen Zeichnungen zeigt der Comic die erschreckende »Banalität des Bösen« (Arendt), die zum »Mord an Millionen durch Verwaltung« (Theodor W. Adorno) führte. Mit dem industriellen Ablauf kontrastieren die vielen Menschengesichter, die der Zeichner in den Vordergrund rückt. Falte um Falte, Haar um Haar setzen sich die Bilder der Menschen zusammen, Opfer wie Täter. Das Ausmaß der Menschenverachtung wird man in den Gesichtern der Täter allerdings nicht finden können. Reinhards präzise dokumentarische Rekonstruktion der Ereignisse von Auschwitz bewältigt nichts, sie erinnert. Darin ist sie ein Meisterwerk der grafischen Kunst.

 

Martin Reiterer